CD Review August 2022 von:
Marco Zysset

Einer der grossartigsten Schweizer Musiker meldet sich zurück: Ad-Rian ist «OUT OF THE ASHES». So lautet der Titel seines neuen Albums. Es ist vielseitig, kraftvoll und überraschend.

Darf sich jemand an Madonnas «Crucified» anlehnen? Und erst noch ein Mann? Es sind genau solche Fragen, die sich Adrian Sturzenegger nicht stellt. Denn würde er sich im Sinnieren über derartige Nebensächlichkeiten verlieren, wäre er kaum zu einem der grossartigsten Musiker und Produzenten der Schweiz geworden. Ad-Rian – so nennt sich Sturzenegger als Solo-Künstler – fragt nicht. Er sucht und findet. Und dann kreiert er. Lieder, Musik, Gefühle. Diese Gefühle zelebriert er dann auf seinen Alben; zum Beispiel auf seinem jüngsten Longplayer mit dem sinnigen Titel «OUT OF THE ASHES». Mal klar und unmissverständlich, wenn er deutlich macht: «I Feel You». Oder wenn er in «Rise to Fall» zu Höhenflügen ansetzt, im Wissen darum, dass sie nicht immer gut enden. Ikarus lässt grüssen.

Aber eben: Nicht dieser Held der griechischen Mythologie, der auf dem Weg in die Sonne verglüht ist, steht für Ad-Rians neustes Album «OUT OF THE ASHES» Pate, sondern der Vogel Phönix, der nach seinem Tod jeweils in alter Pracht aus seiner Asche wieder aufersteht. So wie grosse Songs unsterblich sind.

Selbstverständlich ist Ad-Rians Musik tief und fest im Rock verwurzelt; Tracks wie «When The Hurt is Over» oder die Vorab-Single «Morning Sun» lassen grüssen. Doch wo andere stehen geblieben sind und es sich angenehm eingerichtet haben, hat der Zürcher Sound-Tüftler immer wieder neue Wege, Facetten und Möglichkeiten gesucht, seine Musik weiterzuentwickeln. So entstehen Songs wie «Send You All My Love», «Room of Change» oder «The Morning After», der eine Dynamik zeigt, die in der heutigen – für Spotify glattgebügelten Musikwelt selten geworden ist.

Ad-Rians Ausnahmestimme sei Dank werden auch vermeintlich unscheinbare Popsongs wie «Someday», «Far Away» oder «A Million Different Roads» zu echten Hinhör-Momenten. Wobei Letzterer durchaus als vertonter Lebenslauf des Künstlers verstanden werden darf. Als roter Faden zieht sich neben der einzigartigen Stimme Ad-Rians herausragendes Gespür für eingängige Melodien durch das ganze Album. Es sind diese beiden Elemente, die es zusammenhalten und zu
einem unvergleichlich gefühlvollen Ganzen werden lassen werden, das in der Frage aller Fragen gipfelt: «Where do We Go From Here?»

Mit Jahrgang 1969 ist der gebürtige Zürcher Teil der ersten Generation von Schweizer Pop- und Rockmusikern, die sich in den 80er-Jahren aufgemacht haben, das Handwerk dort zu lernen, wo die grossen Stars und Hits gemacht werden: Am Musicians Institute in Los Angeles studierte er Musik und Gesang. Auch wenn Ad-Rian vordergründig nicht zu den Topstars der Schweizer Musikszene gezählt wird, so ist er in all den Jahren doch zu einem der prägendsten Songwriter, Sänger, Musiker und vor allem Produzent des Landes geworden. Dass er sein Wesen und Wirken nicht in den Vordergrund stellt, sondern ganz und gar seine Musik sprechen lässt, macht den Mann, der in der Schweiz sowie in Frankreich lebt und arbeitet, zu einer echten Ausnahmeerscheinung in einer Welt, in der Likes auf Instagram oder Views auf Tiktok bisweilen mehr zu zählen scheinen als echtes Schaffen.

Womit wir wieder bei Madonna wären, dieser schillerndsten Pop-Göttin aller Pop-Göttinnen. Selbst sie hat in jüngerer Vergangenheit mehr auf diesen Plattformen der inszenierten Vergänglichkeit von sich reden gemacht als mit ihrem musikalischen Schaffen. So liegt es an Ad-Rian, sie wieder als kongeniale Sängerin und Interpretin in Erinnerung zu rufen – mit seiner ganz eigenen Interpretation der gehauchten Phrase «Crucified your love», die eine ganze Generation geprägt hat. Nicht nur musikalisch.

Text: Marco Zysset, August 2022